Atem des Lebens

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Meine Mutter starb im Krankenhaus. Ich hatte den Tag und die Nacht vorher bei ihr zugebracht und war Zeugin ihres Rückzuges. Sie konnte nicht mehr sprechen oder jemanden anschauen. Ihre Kraft schien sich darauf zu konzentrieren, dazubleiben. Als mein Bruder und Vater ins Zimmer kamen, rasselte und schnappte ihr Atem weiter. Ich legte die Hand in ihren Nacken und sprach mit ihr. Dass jetzt alle aus der Familie da waren, dass sie jetzt gehen könnte. Dass  wir zurückbleiben und aufeinander aufpassen würden. Ihr Atem wurde flacher und blieb dann aus.

Der craniosacrale Rhythmus, also die Bewegungen des Liquors um das Gehirn und Rückenmark, ging weiter. Auch langsamere Pulsationen waren noch zu spüren, Gezeiten artiges, langsames Anschwellen und Abebben in großer Ruhe. Das blieb, auch nach Auslaufen der Liquorströmung. Minutenlang. Nach einem letzten feinen Aufsteigen blieb auch das aus. Die Ruhe vertiefte sich, ein irgendwie elektrisches Pulsieren blieb.

Kraft, Zündung und Pulsieren

Die Begründer der Craniosacraltherapie sprechen vom “Atem des Lebens”, einer universellen Kraft, der dynamische, ordnende Lebenskraft erzeugt. Diese Lebenskraft “zündet” sich in den Flüssigkeiten der befruchteten Eizelle und später bei der Geburt auch im Liquor und im Nabelbereich. Sie bewirkt ordnende, pulsierende Integration und ist die Grundlage für weitere Entfaltung.

Meine Mutter hat mich teilnehmen lassen an ihrem atmenden Sterbeprozess. (Der sich noch die Tage darauf fortsetzte. Aber da war ich abgelenkt von den Geschäftigkeiten, die Tod und Beisetzung für Angehörige mit sich bringt und weniger präsent.) Was für ein Geschenk!

Der Atem des Lebens, hatte ich spüren können, hat viele Schichten. Die Lungenatmung ist nur eine, der Craniorhythmus eine etwas tiefere und dann gibt es noch andere, langsamer, feiner und klar wahrnehmbar. Als die vordergründigeren Schichten von Atmung nach und nach aussetzten, zeigte sich Lebendigkeit in immer mehr Tiefe, Weite und Stille. Der Atem des Lebens.

Die Zündungsprozesse von universeller Kraft in einen lebendigen Organismus hinein geschehen unser ganzes Leben lang. Sie sind eine Ermächtigung zu leben und uns zu entwickeln, in Verbundenheit mit der Welt und mit ganz eigenen Impulsen.

 Behinderung der Zündungen und Heilung

Die Selbstverständlichkeit, überhaupt da zu sein und unsere Selbstheilungskraft können abgedämpft und unter Umständen nicht ganz vollständig sein. Das zeigt sich in der Craniosacraltherapie in der Qualität der oben genannten Atemprozesse und Pulsationen. Dies kann sowohl bei schweren Geburten und Anästhesie, wenn die Nabelschnur nicht auspulsieren konnte und auch wenn das Kind in der Familie nicht willkommen geheißen wird, geschehen. Später im Leben können Traumata, Operationen und Störungen der Flüssigkeitssysteme im Körper die Zündungsprozesse reduzieren.

Beides kann unsere Kapazität, geistig und körperlich unabhängig und gleichzeitig sozial angebunden zu leben, beeinträchtigen, kann Entwicklung verzögern, Lethargie und Krankheiten verursachen und die Fähigkeit zur Selbstregulation herabsetzen.

Die Zündungen sind nicht einmalig, sondern geschehen in jedem Moment unseres Lebens neu. Unsere Bewegung zu inkarnieren und durch´s Leben zu gehen wird konstant erneuert. Eine Vervollständigung ist also auch später noch möglich.

Hier setzen wir nicht bei Symptomen an, sondern an der Quelle, direkt bei der Kapazität des Lebens in uns, für sich selbst zu sorgen.

Berührbarkeit und Resilienz

Die uns allen gemeinsame Qualität von Lebendigkeit auf dem Radar zu haben, gibt mir viel. Nicht nur um sie zu wissen, sondern sie alltäglich und zutiefst körperlich in mir und in anderen zu spüren. Ein Klären des Ausdrucks dieser Kraft zu bezeugen und zu begleiten, ist jedes Mal wieder ein Geschenk. Das verschafft mir Zugang zu Stärke und Resilienz. Die brauche ich und brauchen wir, um in den gegenwärtigen persönlichen und kollektiven Herausforderungen präsent zu sein und zu tun, wofür wir hergekommen sind.  Ich möchte uns ermuntern, inmitten aller Turbulenz zu pulsieren – uns im Kern zu spüren und auf das, was geschieht zu antworten. JedeR auf eigene Art wissend, dass wir miteinander atmen.

Gruß an das lichtvolle Atmen in Dir!

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